Mach die Augen zu, dann siehst du, was du verdienst
1.500 ThüringerInnen fordern bessere Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit
Erfurter Bündnis diskutierte am 29.10.14 mit Vertretern von Politik, Gewerkschaft und Arbeitgebern Verbesserungsmöglichkeiten
Im Mai 2014 hat sich in Erfurt ein Bündnis gegründet, das auf schlechte Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit und der Kindheitspädagogik aufmerksam machen will. Es hat eine Online-Petition gestartet, mit der ein Brachentarifvertrag, mehr Personal und die bessere Ausstattung von Arbeitsplätzen gefordert wird. Jetzt, fünf Monate und 1.500 Thüringer Unterschriften später, stellt sich die Frage, wie diese Forderungen umgesetzt werden können. Unter der Moderation von Susanne Paton und Barbara Lochner diskutierten am 29. Oktober die Thüringer Sozialministerin Heike Taubert, der Landesbezirksleiter von Ver.di, Thomas Voss, die Vorsitzende und ehemalige Geschäftsführerin der Volkssolidarität, Margit Jung, sowie der Sozialwissenschaftler Prof. Wolf Wagner über aktuelle Hürden und Chancen für die Soziale Arbeit und die Kindheitspädagogik.
Die Ausgangssituation beschreibt Wolf Wagner mit Verweis auf eine eigene Studie eindrücklich in seinem Eingangsstatement: „Es gibt Glanzbroschüren in denen Theorien dargestellt werden, aber mit der Praxis haben diese Broschüren relativ wenig zu tun. Es wird so getan, als ob über die Qualität entschieden wird, aber letztlich sagen 60% der Praxisstellen in der Sozialen Arbeit, es sind die Kosten, die entscheiden“. Die Lasten dieser Entwicklung tragen die SozialarbeiterInnen und PädagogInnen. Der Wissenschaftler benennt Einkommenseinbußen, Befristungen und Teilzeitverträge als Auswirkungen des Kostenwettbewerbs. Sowohl der Gewerkschaftler Thomas Voss als auch die Ministerin Heike Taubert sehen im Fachkräftemangel diesbezüglich eine Chance, die es zu nutzen gilt. Taubert verweist auf die Entwicklungen in der Altenpflege. Hier habe der Fachkräftemangel den Pflegepakt und deutliche Gehaltssteigerungen ermöglicht. Und auch Thomas Voß ist sich sicher: „Diejenigen, die jetzt ihre Existenz sichern müssen, als Einrichtung oder Träger, die müssen darauf achten, dass sie auch Fachkräfte bekommen. Und zu den Bedingungen wie bisher, nach dem Motto, euch gibt es wie Sand am Meer, ihr steht ja Schlage vor der Tür und arbeitet zu allen Bedingungen, das hat sich geändert, das ist nicht mehr so“.
Die Träger, so wird betont, müssen sich einig werden und gegenüber den Geldgebern – Kommunen, Kranken- und Pflegekassen – gemeinsam deutlich machen, was ihre Leistungen wert sind. Insbesondere in größeren Kommunen, ist sich Margit Jung sicher, können Träger mit Geschlossenheit einiges erreichen. Kostenkonkurrenz führt jedoch dazu, dass kaum über Qualität diskutiert wird und Leistungen zu Bedingungen durchgeführt werden, die eigentlich kaum tragbar sind. So stellt Margit Jung fest: „Es gab zwanzig Jahre immer weniger Geld und trotzdem ging es immer weiter“.
Daran schließt an, dass sich auch die Anerkennung seitens der Kommunalpolitik erhöhen müsste. Eine Mitdiskutantin aus dem Publikum berichtet davon, dass ihr Träger nach finanziellen Kürzungen und trotz fachlicher Bedenken ihre Leistungen in der Kinderschutz-Prävention reduziert habe. Sie dachte, dass würde die Kommunalpolitik aufrütteln. Stattdessen kam aber nur als lapidare Antwort: „Ach wissen Sie, Bedarfe werden auch geschaffen“. Dies ist eine Unterstellung, die Trägern immer wieder schwer zu schaffen macht und die eigene Arbeit herabwürdigt. Wenn Kommunen gute Arbeit wollen, so müssen sie sich auf eine langfristige Bedarfsplanung und zuverlässige Finanzierungszusagen einlassen. Margit Jung hat als Trägervertreterin sogar schon erlebt, dass Kommunen sie offensiv zum Lohndumping aufgefordert hätten. Die Volkssolidarität habe allein im Landkreis Greiz drei Kindertageseinrichtungen verloren, weil sie der Kommune zu teuer waren. „Nicht weil die Qualität nicht gestimmt hat“, betont Margit Jung.
Damit der Kampf um die Finanzierungen zwischen Trägern und Kommunen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden kann, schlägt das „Thüringer Bündnis für Gute Arbeit in der Sozialen Arbeit und der Kindheitspädagogik“ einen Brachentarifvertrag vor. Die Liga der freien Wohlfahrtspflege äußert sich dazu äußerst kritisch, doch Thomas Voß betont die Vorteile auch für die Arbeitgeberseite, da so ein Tarifvertrag dazu beitragen könnte, den Dumpinglohnwettbewerb zu stoppen. „Kein Arbeitgeber wird böswillig darauf aus sein, seine Beschäftigten möglichst schlecht zu bezahlen. Es ist die Ökonomisierung des Systems. In der Sozialen Arbeit ist völlig klar, da sind die Lohnkosten der entscheidende Faktor, wo man entweder sparen oder eben auch die Qualität steigern kann“, so Voß.
Angesichts der laufenden Koalitionsgespräche zur Regierungsbildung auf Landesebene fordert das Bündnis die Politik auf, sich für die konsequente Umsetzung verbesserter Arbeitsbedingungen in den Bereichen der Sozialen Arbeit einzusetzen. Neben der Anerkennung durch gutes Einkommen und Beschäftigungsstabilität brauchen die Mitarbeiter_innen Rahmenbedingungen, die dazu beitragen, Arbeitsbelastungen sowie Personalausfälle und –wechsel zu reduzieren. Heike Taubert betont, dass es ihr ein Anliegen ist, den Aushandlungsprozess, der dafür nötig ist, politisch zu moderieren und sich für die notwendigen politischen Rahmenbedingungen einzusetzen. Auch sieht sie den Bedarf einer besseren finanziellen Unterstützung der Kommunen. Ihr bisheriges Engagement wäre aber durchaus nicht immer auf Gegenliebe stoßen: „Ich will nur ein Beispiel nennen. Bei der Schulsozialarbeit haben wir gesagt, wir legen die Vergütung fest, da drunter darf es nicht sein. Da gab es einen großen Aufschrei“. Hingewiesen wird von Seiten der öffentlicher und freier Träger auf Probleme, die sich daraus ergäben, dass man seine MitarbeiterInnen nicht unterschiedlichen bezahlen kann und will, nur weil in einem Bereich die Finanzierung gesichert ist, im anderen aber eben nicht.
Am Ende der Diskussion wird schließlich auch eines deutlich: Neben der Verantwortung von Politik und Trägern müssen die SozialarbeiterInnen und KindheitspädagogInnen auch selbst für ihre Arbeitsbedingungen aufstehen. Sozialarbeiter wären da oft zu „lieb“, so Wolf Wagner und Thomas Voss ergänzt: „Irgendwann müssen sie auch sagen, zu den Bedingungen arbeiten wir nicht weiter“.
Wege zur Umsetzung der Erfurter Erklärung für gute Arbeit in der Sozialen Arbeit und der Kindheitspädagogik in der Diskussion.
Am 21. Mai verabschiedeten die Teilnehmenden eines Fachforums an der Fachhochschule Erfurt die „Erfurter Erklärung für gute Arbeit in der Sozialen Arbeit und der Kindheitspädagogik“. Daraus entstand ein Bündnis für Gute Soziale Arbeit, welches das Ziel verfolgt, auf die schwierigen Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen, unter denen die Fachkräfte in Thüringen soziale und pädagogische Dienstleistungen gestalten.
Unsere Erklärung haben wir vor der Landtagswahl am 14. September den im Thüringer Landtag vertretenen Parteien als Wahlprüfstein zur Kenntnis gegeben. Die Reaktionen haben wir hier veröffentlicht.
In nächsten Schritten möchten wir die Diskussion mit allen Verantwortlichen zu unseren Forderungen befördern. Im Dialog mit allen Akteuren zielen wir auf die nachhaltige Verbesserung der beruflichen Rahmenbedingungen in allen sozial- und kindheitspädagogischen Arbeitsfeldern.
Über die Möglichkeiten zur Umsetzung unserer Forderung diskutieren:
- Prof. Dr. Wolf Wagner (ehm. Fachhochschule Erfurt)
- Heike Taubert, MdL (Thüringer Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit)
- Thomas Voß (Landesleiter ver.di Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen)
- Margit Jung, MdL (Vorsitzende der Volkssolidarität Gera)
Mittwoch, 29. Oktober 2014 – 18:30 Uhr
F.R.E.I. Fläche
Gotthardtstraße 21
99084 Erfurt
Unterstützt werden wir von ver.di SAT, GEW Thüringen und der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Erfurt.